Schulleiter
Beruf
Meine Zeit als Schulleiter
Die Zeit als Fachleiter hatte ich 10 Jahre lang genossen, weil ich geichzeitig mit Jugendlichen und Erwachsenen zu tun hatte und von beiden neue Impulse bekam. Ich hatte Unterrichtsfilme gedreht und viele Fortbildungsveranstaltungen geleitet. Ein Problem ergab sich, als sich nicht mehr genügend Lehramtsanwärter für das Fach Physik oder Chemie am Bezirksseminar Neuss anmeldeten. Das Seminar sollte geschlossen werden oder sich an das Bezirkssemianr Düsseldorf anschließen. Da schien mir die schöne Fachleiterzeit zu Ende zu gehen und ich entschied mich zu einer Bewerbung als Schulleiter. Ich bewarb mich für die Schulleitung der Hauptschule an der Gnadentaler Allee in Neuss, die gerade ausgeschrieben war.
Meine Bewerbung um die Schulleiterstelle an der Hauptschule an der Gnadentaler Allee in Neuss hatte Erfolg und so wurde ich mit 35 Jahren Rektor einer Hauptschule. Ich fand ein tolles und engagiertes Kollegium vor, wobei die Schule mit 724 Schülern schon ziemliche Raumprobleme hatte. Einige Klassen mussten in die benachbarte St.Konrad-Grundschule ausgelagert werden. Aber es war eine lebendige Schule, wir probierten vieles aus, um die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu steigern und die Berufswahl zu verbessern. Ich schrieb einige Aufsätze in Fachzeitschriften dazu und wir wurden wegen unserer Erfolge auch überregional bekannt. Nach einem Bericht des "Spiegel" über unseren "Neusser Modellversuch" zur Förderung leistungsschwacher Schüler und den speziellen Berufswahlunterricht mit drei Praktika während der Schulzeit besuchten uns viele Kollegien anderer Schulen aus ganz Nordrhein-Westfalen und nahmen am Unterricht teil. So wurden wir eine sehr offene Schule und die Kolleginnen und Kollegen hatten keine Probleme, wenn Fremde ihren Unterricht besuchten. Das führte zu einem hervorragenden persönlichen Selbstverständnis und einem guten Erziehungskonsens in unserer Schule. Wir nahmen als Kollegium an dem Modellversuch "Wie Schulen sich entwickeln können" teil, der nach einem Organisationsmodell des norwegischen Professors Per Dalin ausgerichtet war. Das brachte uns noch mehr Offenheit, denn wir lernten als Kollegium besser mit Kritik umzugehen, bekamen mehr Einsicht in innerschulische Zusammenhänge und ich lernte als Schulleiter viel über Führungsstile und Führungsverhaltensweisen.
Inzwischen war ich Vorsitzender des Personalrats geworden und hatte dadurch noch mehr Einblick in die Strukturen des Schulamtes und in die Bewerbungen von Lehrern oder deren Versetzungswünsche bekommen. Mir gelang es, fähige Kollegen und Kollegen für unsere Schule zu gewinnen und weniger fähige an andere Schulen zu vermitteln. Der Sportunterricht hatte durch den Zuwachs von Sportlehrern und deren Beziehungen zu den Vereinen eine neue Bedeutung gewonnen, die für die Motivation der Schüler eine hohe Bedeutung hatte. Wir konnten im Sportunterricht nicht nur Tischtennis, Fußball oder Schwimmen anbieten, sondern auch Reiten, Tauchen, Rudern und andere Sportarten, was zu damaligen Zeiten für Hauptschulen nicht alltäglich war.
Jedenfalls muss das irgendjemandem nicht gefallen haben, denn es wurde eine Beschwerde eingereicht, dass wir nicht richtliniengemäß arbeiten würden und die Lehrpläne und Prüfungsbedingungen nach unseren Vorstellungen verändern würden. Die Folge war eine ganztägige Revision in unserer Schule. Von 8 bis 14 Uhr besuchte eine Kommission der Bezirksregierung verschiedene Unterrichtsstunden und nachmittags wurde die Schulleitung überprüft. Die Geschichte ging sehr gut aus, weil insbesondere unser Kollege Gerhard Heidemann im Chemieunterricht die Beamten beeindruckte, als er mit der Klasse auf dem Schulhof mit einem Gaszähler eine Abgasmessung an seinem alten VW vornahm und auswertete. Jedenfalls sagte der Dezernent, als er sich um 18:00 Uhr verabschiedete, dass er sich so einen modernen Hauptschulunterricht vorstelle und da sei unsere Schule auf dem richtigen Wege.
Inzwischen waren überall im Land die Gesamtschulen entstanden und die Politiker machten Reklame für eine Versetzung an diese Schulform. Die Lehrer bekamen frei zum Besuch von Informations- und Werbeveranstaltungen in bereits bestehenden Gesamtschulen. Ich war sehr betrübt, als ich wahrnahm, wie die Schulform Hauptschule durch die aus dem Boden schießenden Gesamtschulgründungen nunmehr zum Sterben verurteilt sein würde. Die Eltern würden ihre Kinder demnächst nicht mehr an einer Hauptschule anmelden, sondern die Hauptschule würde zur Restschule degradiert werden. Das war hauptsächlich ein politisches Problem, weil die CDU in Neuss und anderen Städten am Niederrhein die Gesamtschule eigentlich nicht wollte. Schließlich musste sie aber dem Druck der Bürgerinitiativen nachgeben und gründete auch hier eine Gesamtschule. Das führte dazu, dass auch von unserer Schule fähige Kolleginnen und Kollegen einen Versetzungswunsch dorthin einreichten und auch genommen wurden, weil sie als sehr engagiert bekannt waren.
Ich sah den Untergang der Hauptschule kommen, was aber keiner wahrhaben wollte. Mir wollte auch keiner glauben: Als ich als Referent einer Fortbildungsveranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung das prophezeite, wurde ich nicht mehr eingeladen.
Da Neuss keine Perspektive mehr für mich war, bewarb ich mich um die Schulleitung der Gesamtschüle Hüls in Krefeld, die 1988 gegründet worden war, weil die Zahl der Anmeldungen für diese Schulform wie überall die Kapazitäten der bestehenden Schulen weit überschritt. Die ersten vier Klassen waren noch an der Gesamtschule am Kaiserplatz ausgelagert und ich traf auf 12 engagierte Lehrerinnen und Lehrer aus verschiedenen Schulformen, die sich alle für die Gesamtschule gemeldet hatten. Wir zogen am 1. August 1989 in das Gebäude der Hauptschule Hüls um, die in der oberen Etage Räume frei machte. Zunächst war das Zusammenleben mit der Hauptschule nicht einfach, denn die wusste, dass wir sie verdrängen würden. Mir tat das sehr leid, weil das eine gut funktionierende Stadtteilschule war - aber so waren einmal die politischen Entscheidungen. Jedenfalls waren die besser als die in Neuss. Krefeld förderte die Gesamtschule sehr großzügig, während in Neuss immer noch Verhinderungstaktik angesagt war. Das Ergebnis war eine rasant anwachsende Zahl von Anmeldungen, die auch aus dem benachbarten Kreis Kempen-Krefeld kamen. der keine Gesamtschule hatte. Wir mussten viele Kinder abweisen, da die Raumkapazität nicht ausreichte und die Schulkonferenz sich für eine stabile Vierzügigkeit ausgesprochen hatte. Sie wollte wegen der Überschaubarkeit des System keine 6 Züge haben und ich fand das sehr vernünftig. Das traf jedoch auf den Unmut der Hülser Bevölkerung, weil die abgewiesenen Schüler die alte Hauptschule besuchen mussten, die inzwischen in ein anderes Gebäude an der Inrather Straße umgezogen war. Die äußerst engagierte Elternschaft half beim Aufbau der Schule kräftig mit und wollte dann auch einen Namen für die Schule haben. Dem Kollegium gefiel an sich der Name "Gesamtschule Hüls", aber die Eltern beharrten auf dem Namen "Robert-Jungk-Gesamtschule", weil das ein Zukunftsforscher war und es weltweit noch keine Schule mit diesem Namen gab. Die Schulkonferenz fasste den Beschluss und auch von der Stadt Krefeld gab es keine Einwände. Ich musste im Kollegium viel Überzeugungsarbeit leisten, dass wir jetzt auch ein Profil brauchten, das diesem Zukunftsforscher und seinen Ideen gerecht wurde. Das kostete viel Kraft und Vorarbeit meinerseits, denn das Kollegium stand der Namensgebung ziemlich indifferent gegenüber. Die Hoffnung, dass die Robert-Jungk-Stiftung in Österreich uns helfen würde, erfüllte sich nicht, denn die stellte uns nur einige Bücher von Robert Jungk zur Verfügung. Im Übrigen hoffte die Stiftung ihrerseits, von unseren Eltern unterstützt zu werden. Es gab aber dann doch eine schöne Feier zur Namensgebung, zu der der Sohn von Robert Jungk aus Paris angereist kam und eine Rede hielt.
Wir nahmen jedes Jahr 128 neue Schüler auf, was aber auch jedesmal 14 neue Lehrer bedeutete. Das war für die Intergration des Kollegiums nicht einfach. Anfangs waren es alles Kolleginnen und Kollegen, die sich freiweillig von anderen Schulformen für die Gesamtschule beworben hatten, wobei die Schulaufsicht in Düsseldorf eine Auswahl traf. Das war in den ersten 5 Jahren eine erfreuliche Arbeit mit vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen, die in Teams arbeiteten, sich privat oft trafen und konstruktiv am Aufbau der Schule mithalfen. Bis zu 600 Schülern war alles überschaubar und wir erstellten den Stundenplan bereits mit dem Computer und dem Programm "Untis". Aber als wir die Oberstufe eröffneten und die Schülerzahl schließlich 880 betrug, machte es nicht mehr so großen Spaß, weil zu viele Probleme auftraten. Unzufriedenheit kam auf, weil sich einige Kollegen beschwerten, dass sie nicht zum Oberstudienrat befördert wurden, obwohl sie es nach ihrer Meinung verdient hätten und andere vorgezogen würden. Es entwickelte sich auch ein gewissen Neid auf die Studienräte mit der höheren Laufbahn, die nach A13, A 14 oder A15 bezahlt wurden und die gleiche Arbeit machten wie die Hauptschullehrer in der gehobenen Laufbahn, die nach A12 bezahlt wurden. Und deren Engagement war manchmal deutlich höher. Ein weiteres Problem waren die Leistungsanforderungen. Alle sollten Abitur machen, auch wenn sie das eigentlich nicht schaffen konnten. Aber die politische Vorgabe lautete eben: In der Gesamtschule können auch Kinder mit mittlerem Begabungsniveau Abitur machen und das sei durchzusetzen. Aber die erste Generation war zum Teil wirklich schwach.
Am 18.6.1997 gab es das erste Abitur in Hüls. Stolz präsentierten die 36 Schülerinnen und Schüler ihre Reifezeugnisse. 68 Lehrer freuten sich mit den Abiturienten, aber in der Rede des damaligen Oberbürgermeisters Pützhofen war doch vorsichtige Kritik zu hören, denn ob das verliehene Abitur gerechtfertigt sei, müsse sich erst noch beweisen, sagte er.
Wir wurden in der Organisation und Datenverarbeitung Vorbild für viele Schulen und unser Computerraum war Ausbildungsstätte für die Lehrerfortbildung. Wir hatten schon eine E-mail-Adresse und befanden uns im Austausch mit anderen europäischen Schulen. Durch meine früheren Kontakte zum Landesinstitut für Schule und Weiterbildung bekam ich das Angebot, beim Comenius-Programm einzusteigen und wir konnten den Schüleraustausch mit Irland, Spanien und Frankreich durchführen. Mit wissenschaftlicher Begleitung der Universität Münster und der Bergischen Universität Wuppertal nahmen wir an dem EU-Projekt "PETRA D24" teil, das eine bessere technische Ausbildung der Schüler zum Ziel hatte. Wir besuchten den Unterricht von englischen und belgischen Schulen und entwickelten ein Konzept zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen. In dieser Zeit wurde vom Ministerium das Projekt GRIN favorisiert: Alle Schulen sollten in ihrem Unterricht Grundlagen der Informatik vermitteln und die Lerninhalte sollten in allen Fächern vermittelt werden. Ziel war eine Grundbildung in Informatik, ohne die sollte kein Schüler die Schule verlassen. Wir versuchten das umzusetzen und ich konnte das Kollegium trotz aller Skepsis überzeugen. Gerade im Technikunterricht ergaben sich gute Möglichkeiten durch die Teilnahme am Projekt PETRA D24. Die intensive Beschäftigung mit diesem Thema führte sogar dazu, dass unsere Schule bei der Weltausstellung 2000 in Hannover in einem Ausstellungspavillon vertreten war. Das machte die Schüler ganz stolz und mich als Schulleiter auch.
Später änderte sich die Lehrerausbildung und die guten Absolventen der "Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung", wie die Seminare jetzt hießen, bewarben sich jetzt vorrangig an Gymnasien, denn die Gesamtschule als Schulform wurde immer noch als minderwertig angesehen (was sich bis heute nicht geändert hat). So kamen denn vermehrt Lehrerinnen und Lehrer an die Schule, deren Engagement nicht so war, wie ich als Schulleiter es von ihnen forderte. Ich machte viele Unterrichtsbesuche und schrieb viele Dienstliche Beurteilungen. Die sehr guten Beurteilungen führten zu Beförderungen oder zur Abwerbung von andere Gesamtschulen. Aber das war eben so - und man durfte sich nicht darüber ärgern. Ein Dezernent sagte mir, wir seien halt eine Kaderschmiede für potentielle Bewerber um Leitungsstellen an Gesamtschulen. Das fand ich zwar toll, führte aber zur Verdünnung des eigenen Potentials. Die Dienstlichen Beurteilungen wurden nunmehr mein Spezialgebiet. Aber davon mehr im nächsten Kapitel.